Trainer-C-Ausbildung in Hannover, das Thema des fünftägigen Moduls: Judotraining gestalten. Was macht guten Judounterricht aus? Wie werden Fehler korrigiert? Welche Randoriformen gibt es? Was sind Knotenpunkte der Techniklehre im Stand und im Boden?
Um diese und viele weitere Fragen drehen sich sowohl die Praxis- als auch die Theorieeinheiten im Dojo des Bundesstützpunkts und dem Lehrsaal der Akademie des Sports in Hannover. Unter den 20 angehenden Trainer*innen ist Björn Kettler. Er ist gehörlos. Zuvor absolvierte er mit den anderen Übungsleiteraspirant*innen weitere Ausbildungsstufen, unter anderem die Lehrgänge zum Thema ‚Judobewegungen meistern‘ und ‚Spezialisierung Breitensport‘.
Die Behinderung schränkt Björn beim Judo auf der Matte bei den unterschiedlichen Ausbildungsmodulen kaum ein. „Alles rund um die Judotechnik und die Informationsvermittlung auf der Tatami kann er umsetzen“, erklärt Ausbildungsleiter Martin von den Benken. Das Gesagte wird hingegen zur Herausforderung, denn auch die verbale Artikulation ist vom fehlenden Gehörsinn betroffen. Gesprochen, erklärt und diskutiert wird jedoch viel bei einer Trainer-C-Ausbildung. Doch der zusätzlichen Anforderung nimmt sich der 49-Jährige an. Nachdem er im Juni 2022 seine Prüfung zum 1. Dan bei der NJV-Kompaktausbildung absolvierte und auch schon bei der niedersächsischen Judo-Sommerschule am Start war, hat er Blut geleckt. Das nächste Judoziel: Die Trainer-C-Lizenz, um anderen Gehörlosen seine Leidenschaft an seiner alten Internatsschule in Oldenburg näherzubringen. Erfahrungen als Trainer konnte er zwar vorher schon bei seinem Heimatverein, den Crocodiles Ihlow, in einer hörenden Kindergruppe sammeln. Jetzt will er sein Wissen mit der Trainerausbildung festigen und die Voraussetzungen für weitere Übungsleitereinsätze schaffen.
Auch dem NJV ist Björns Ziel ein wichtiges Anliegen. „Nachdem blinde und körperbehinderte Judoka die Trainer-C-Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben, möchten wir das natürlich auch einem gehörlosen Sportler ermöglichen“, sagt Martin von den Benken und ergänzt: „Das ist meines Wissens erstmalig in Judo-Deutschland“ - dafür ist es aber umso wichtiger. Denn allen Menschen einen gleichberechtigten und selbstbestimmten Zugang zu verschiedensten Sportangeboten zu ermöglichen und individuelle Lösungen zu finden, das ist die Idee von Inklusion, der sich der deutsche Sport verschrieben hat. Möglich wird die Umsetzung jedoch nur durch die Mitarbeit ehrenamtlicher Helfer*innen.
Im Falle von Björn ist das Jutta Milzer, „deren Engagement nicht hoch genug geschätzt werden kann“, so von den Benken über die intensive Unterstützung der erfahrenen Trainerin, die vielen sonst als NJV-Kata-Referentin bekannt ist. Schon auf dem Weg zum schwarzen Gürtel begleitete sie den Ostfriesen. Auch den verschiedensten Einheiten der Trainer-C-Ausbildung wohnt sie bei und ist zu einem wichtigen Teil des inklusiven Projekts geworden. Während sich einige der Judoka anfangs noch wunderten, warum die Einheiten von ihr per Video festgehalten werden, fällt das „Kamerakind“ inzwischen kaum noch auf, ist für Björn aber eine wichtige Stütze. Im Nachgang der Trainingsstunden und mithilfe der Videos fertigt sie auf Nachfrage Transkripte zu den Inhalten der Referierenden an. Während der Theoriesitzungen schreibt sie mit und macht ihm die Einheiten zugänglich, die ihm sonst verborgen geblieben wären. Doch nicht nur Jutta Milzer trägt zur Verständigung bei. Neben dem NJV-Ausbildungsteam sind es vor allem die anderen Judoka, die Björn mitnehmen. Klappt es nicht mit Worten, dann mit Zeichen, Körpersprache oder eben direkt am Uke – beim Judo kein Problem, nur eine Umstellung, die zwar für alle eine neue Erfahrung ist, die Kommunikation aber lediglich auf eine andere Ebene verschiebt und den Fokus vom Akustischen weglenkt. Davon lernen alle.
„Das Schwierigste“, erklärt Björn, der über ein beeindruckendes Judogefühl und kreative Lösungsansätze im Training verfügt, „sind aber nicht die Bewegungen, sondern das Lernen und Ausdrücken von japanischen Judobegriffen und Fachausdrücken der Trainerlehre.“ So beschäftigt er sich derzeit nicht nur mit den Inhalten der Trainerausbildung, sondern auch mit der Erweiterung seines aktiven Wortschatzes. Aus diesem Grund liegen immer ein Block und ein Stift am Mattenrand, sodass er Mitschreiben, sein „Wörterbuch“ führen kann oder ihm andere eine kurze Nachricht zum weiteren Ablauf hinterlassen können. Auch nach dem Wochenlehrgang geht es mit dem Lernen weiter.
Wenn er es schafft, auch diese Hürde zu bewältigen, befindet sich Björn auf dem besten Weg zu der angestrebten Trainer-C-Lizenz. Bei der Lehrprobe, die jede*r Lizenz-Anwärter*in vor der Gruppe präsentieren muss und die ebenfalls beim Lehrgang in Hannover auf dem Programm steht, schnuppert er erst einmal nur rein. Er geht es langsam an, um die Vorgänge zu verstehen, die in dem auf Hörende ausgelegten Ausbildungskonzept für die meisten wie eine Selbstverständlichkeit wirken, es aber nicht für alle sind. Mit seinen Stärken in der visuellen Kontrolle, dem technischen Knowhow, einem überaus freundlichen Wesen und viel Neugier wird er aber auch dieses Judoziel erreichen und als Trainer für Gehörlose und Hörende den NJV und seine Mitglieder bereichern, dessen sind sich alle sicher.
Ihr selbst habt eine Behinderung und seid Euch nicht sicher, ob eine Ausbildung als Trainer*in für Euch infrage kommt? Setzt Euch gerne mit uns in Verbindung.
Kontaktdaten NJV-Geschäftsstelle:
- Mail: geschaeftsstelle(at)njv.de
- Telefon: 0511 / 12 68 56 00
Kontaktdaten Ausbildungsleiter Martin von den Benken:
- Mail: martin.vondenbenken(at)njv.de
- Telefon: 0162 / 93 09 353
Kontaktdaten Behindertensportreferent Martin Frey:
- Mail: martin.frey(at)njv.de